Die Kelten und die Römer in Noricum
Auf Grund vieler archäologischer Funde läßt sich der ursprüngliche Siedlungsraum der Kelten in einem Gebiet zwischen der Marne (Frankreich) im Westen, Böhmen im Osten, den Mittelgebirgen im Norden und der Schweiz im Süden lokalisieren. Mit dem Auftreten der Kelten gibt es einschneidende Veränderungen in der mediterranen Welt. Die Kelten, von den Griechen Galater, von den Römern Gallier genannt, werden in der schriftlichen Überlieferung erst um die Mitte des vorchristlichen Jahrtausends genannt.
15 vor Chr. greifen die Stiefsöhne des römischen Kaisers Augustus in einem Zangenangriff die letzten freien Keltenstämmer nördlich der Alpen an, um sie zu unterwerfen. (Drusus von Süden über die Alpenpässe nach Rätien und Tiberius im Westen von Gallien aus). Die Sieger errichten ein Denkmal, das „Tropaeum Alpium“ von La Turbie. Die Inschrift nennt die Namen von 46 unterworfenen Stämmen. Darunter auch die Ambisontes aus Noricum. (Die 170 erhaltenen Fragmente der im Mittelalter zerstörten Inschrift konnten zusammengesetzt werden, weil von Plinius Secundus der gesamte Text überliefert ist).
Unklar ist zur Zeit des Feldzuges die Situation im Osten außer den Kampfhandlungen gegen die Ambisontes im Flusstal der oberen Salzach (im heutigen Pinzgau). Ansonsten bieten die guten Beziehungen des norischen Königreiches zu Rom kaum einen Anlass militärisch aktiv zu werden. Als Tiberius bei Carnuntum 6 nach Chr. eine große Expeditionsarmee gegen das Markomannenreich des König Marbod im heutigen Böhmen zusammenzieht, wird Carnuntum immer noch als Teil des norischen Königreiches genannt. Das politische und wirtschaftliche Zentrum von Noricum befindet sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Magdalensberg (in Kärnten). Auf Widmungsinschriften, die im Jahr 2 v. Chr. in Verbindung mit der Kaiserin Livia und Julia, der Tochter des Kaisers Augustus, von den neun norischen Stämmen gestiftet werden, erscheinen die Namen Norici (Namensgeber des Gebietes rund um den Magdalensberg in Kärnten), die Ambilini/Ambilici aus dem Gailtal, Ambidravi von der oberen Drau, die Uperaci aus dem nordwestlichen Slowenien und südliche Steiermark, die Saevatres aus dem Pustertal, die Laianci aus Osttirol, die Ambisontes von der oberen Salzach im Pinzgau und die Elveti aus dem Bereich des Ossiacher Sees.
Um die Mitte des 1. Jahrhunderts wird in Noricum die provisorische römische Verwaltung durch eine formelle Errichtung einer Provinz ersetzt. Römische Truppen sind ja bereits auf dem Magdalensberg stationiert. Zeitgleich erfolgt als weitere Maßnahmen der Straßenbau und die Neugründung von Städten. Die Bevölkerung erlangt mit dem sogenannten ius latii eine Vorstufe des römischen Bürgerrechtes. Urheber ist Kaiser Claudius (41 – 54 n Chr.). Unter seiner Regierung entsteht die wichtigste Nord-Süd-Verbindung für Noricum. Von Aquileia verläuft die norische Hauptstraße über den Raum Villach, den Katschberg und Radstätter Tauernpass nach Salzburg und über Wels nach Enns (Lauriacum). Eine zweite Strecke verbindet Virunum (die neue Provinzhauptstadt unterhalb des Magdalensberges) und Lauriacum über den Neumarkter Sattel, den Pyhrnpass durch das Kreustal. Neben den Stadtgründungen können erstmals römische Statthalter als oberste Verwaltungsbeamte nachgewiesen werden. Weitere Maßnahmen sind die Zusammenlegung Norikums mit der stark militärisch gesicherten Provinz Pannonien. Durch den regen Handel und die Neuansiedlung von Zivilpersonen, Handwerkern und Händlern lernt die Bevölkerung nun einen neuen Lebensstil kennen. Das Land wird durch Villa Rusticae, große Gutshöfe, landwirtschaftlich erschlossen. Auch die römische Kultur macht großen Eindruck auf die Bevölkerung. Nie gekannter Luxus ist greifbar. Gebäude aus Stein mit Dachziegeln, Brunnen, Wasserleitungen, geheizte Bäder, Abwasserkanäle sind sehr beeindruckend. Eine umfassende Organisation bedeutet das Ende von Hungersnöten. Das immer besser ausgebaute Straßennetz eröffnet neben dem Kulturaustausch auch Handelsbeziehungen mit anderen Völkern. Die Mehrheit der Einwohner bilden Kleinbauern, Handwerker und kleine Kaufleute. Größere Grundbesitzer, eingewanderte Italiker und pensionierte Offiziere, bilden die Oberschicht in den Städten. Die starke Hand des römischen Imperiums wacht über Noricum und ist in allen Bereichen des täglichen Lebens spürbar. Das römische Recht löst die althergebrachte Rechtsprechung ab und die römische Währung erleichtert den Handel.
Bürgerkrieg, Feinde von außen und römischer Rückzug
Mit der großen Reichspolitik kommt die Provinz Noricum zum ersten Mal im Jahr 69 n. Chr. in Berührung. In den Wirren nach dem Tod von Kaiser Nero melden sich verschiedene Thronanwärter (Galba, Otho, Vitellius und Vespasian). Nachdem in Noricum keine Legionen stationiert sind, zeigt sich, dass man vom starken pannonischen Militärkommando abhängig ist. Als sich der Militärkommandant von Untergermanien, Lucius Vittelius, entschließt, den Kampf um die Kaiserwürde anzutreten, schickt der Statthalter von Noricum den Sextilius Felix mit der ala Auriana, acht Kohorten der norischen Jungmannschaft und rasch ausgehobenen Bewaffneten an den Inn, um das östliche Ufer zu sichern. Der Flussübergang bei der Siedlung Ad Enum dürfte wohl als erstes besetzt worden sein. Es gibt keine Kämpfe. Nur kurz darauf, als Vespasian im Orient als Thronaspirant ausgerufen wird, ist er erneut gezwungen am Inn die Grenze zur Provinz Rätien zu sichern. Somit ist der Inn nicht nur Grenze zweier Provinzen, sondern auch zweier übergeordneter militärischer Kommandobereiche und Zollbezirke. Unter Kaiser Trajan (98 – 117 n. Chr.) erreicht das römische Reich seine größte Ausdehnung. Die folgenden 50 Jahre gelten allgemein als Friedenszeit. Aber bereits um die Mitte des 2. Jahrhunderts macht sich Unsicherheit gegen die am jenseitigen Ufer siedelnden germanischen Stämme bemerkbar. Während unter Kaiser Marc Aurel (161 – 180 n. Chr.) im Orient gegen die Parther Krieg geführt wird, durchbrechen erstmalig germanische und sarmatische Völkerschaften die Grenze und dringen tief in das römische Reich vor. Besonders im Bereich der österreichischen Donau ziehen die Markomannen bis nach Italien und belagern sogar Aquileia. Der Kaiser greift persönlich ein, vertreibt die Eindringlinge und führt offensiv Krieg im Feindesland. Da permanent nun die Germanen hinter der Donau einen unberechenbaren Sicherheitsfaktor darstellen, wird zur Verstärkung der Grenzverteidigung die Legio II Italica aufgestellt und in Noricum stationiert. Als der Kaiser in einem Ort bei Sirmium (Sremska Mitrovica) an der Donau oberhalb Belgrads stirbt, beendet sein Sohn und Nachfolger Commodus (180 – 192 n. Chr.) den Krieg ohne Gebietsansprüche. Unter Kaiser Diokletian (284-305 n. Chr.) wird Noricum in Noricum Ripense (Ufernoricum) und Noricum Mediterraneum (Binnennoricum im Süden) geteilt. Das Militär untersteht nun einem General, dem dux Pannoniae primae et norici ripensis. Unter Kaiser Diocletian wird zusätzlich die Legio I Noricorum aufgestellt, um die in Noricum Ripense stationierte Legio II Italica zu entlasten. So sichert sie den östlichen Teil des norischen Donaulimes. Ab dem 4. Jahrhundert wird sie hauptsächlich auf Liburnen (leichte Flusspatrollienschiffe) auf der Donau eingesetzt. Die Anzahl der Einheiten hat sich vergrößert. Diese haben aber eine geringere Truppenstärke. Zusätzlich zu den Grenztruppen gibt es im Hinterland neue und beweglichere Verbände. Im 3. und auch im 4. Jahrhundert finden an der nördlichen Reichgrenze vermehrt verlustreiche Scharmützel und Gefechte gegen andrängende Barbaren statt (In Noricum z. B. die germanischen Quaden). Im 5. Jahrhundert findet man in zunehmenden Maß germanische Soldaten (foederati), die angeworben werden, um die Grenzen manchmal sogar gegen eigene Stammesangehörige zu verteidigen. 405 n. Chr. fällt der Ostgote Radagais in Norikum ein, seit 407 steht der Westgote Alarich ständig in Noricum. Wenige Jahrzehnte später sind es die Hunnen Attilas und seine Kriegszüge, die das Gebiet von Noricum verheeren. Das germanische Volk der Rugier besetzte Noricum, ihr Reich wurde aber um 488 von dem Bruder (Onoulf), des römischen Heermeisters Odoaker zerstört. Nachdem Noricum gegen den immer stärker werdenden Druck von außen nicht mehr zu halten ist, verlassen um 488 n. Chr. auf Anordnung Odoakers die romanisierten Bewohner und das Militär Ufernorikum endgültig. Trotzdem gehen ganze Siedlungsgemeinschaften nicht mit und als germanische Völkerschaften, wie die Bajuwaren aus dem Westen und Avaren und Slawen aus dem Osten das Gebiet in Besitz nehmen, stoßen sie auf die „Walchen“ – „Welsche“, also lateinisch sprechende Bewohner.